Was gibt's denn da zu lachen?
Humor und Klasse im Theater
18.–21. April 2024, Theater am Werk, Wien
Auf der letzten Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft im Juni 2023 in Mülheim an der Ruhr hielt Jason W. Moore, Soziologe und Umwelthistoriker, einen Vortrag mit dem Titel „Spaceships, Slaveships & the Climate Crisis“, der in einer These oder eher einem Appell endete: Eine Revolution, die den Klimawandel aufhält oder mildert und die Menschheit vor dem Aussterben bewahrt, ist auch eine, die Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Kriege beendet, und sie ist: eine klassenkämpferische. Sie denkt intersektional und überwindet zugleich „Klimapatriarchat, Klimaapartheid und Klimaklassentrennung“. Theater, Kunst und Kultur hätten, so Jason Moore, dabei eine wesentliche Rolle – aufzuklären und Mut zu machen, eine kommende Gesellschaft in den Blick zu nehmen.
Nach vielen Tagungen der letzten Jahre, in denen die Dramaturgische Gesellschaft politische Themen und Krisen, den Strukturwandel im Theater und die Notwendigkeit zur Veränderung in den Blick genommen hat – mit Titeln wie „Wer ist WIR?” 2011, „Wie wollen wir arbeiten?“ 2014, „Politisches Handeln jetzt“ 2016, „Dramaturgien des Widerstands“ 2018 oder „Allies, Activists and Alternatives in European Theatre“ 2020, um nur einige zu nennen – wurde es Zeit für etwas Neues, Zeit für ein Thema, das noch nie auf der Agenda stand, und Zeit für ein Thema, das mit Ästhetik und Formen des Theaters ebenso zu tun hat, wie mit unseren politischen und inhaltlichen Debatten.
Wir haben uns gefragt: Was wünschen wir uns nach Jahren der notwendigen harten politischen Auseinandersetzung? Die Antwort war: Humor. Humor als eine andere Form des Politischen. Lachen als gemeinschaftsstiftender Moment. Komödie als subversive Kraft.
Das Verhältnis des deutschsprachigen Theaterbetriebs zum Humor ist gespalten: Man braucht zwar die Komödie, um das Publikum nicht zu verlieren und die „Zahlen“ zu retten – aber der Graben zwischen U wie Unterhaltung und E wie Ernste Kunst bleibt so tief wie eh und je. Der Standesdünkel und Hochmut der „leichten Muse“ gegenüber sind ungebrochen. Und vielleicht zu Recht? Welche Aufgabe kommt der Kunst zu – zu unterhalten? Oder herauszufordern und gesellschaftliche Gegenentwürfe anzubieten? Oder beides? Und wie geht das – Komödie, die sich nicht auf Stereotype und Klischees draufsetzt, nicht den Status Quo zementiert, sondern den Witz aus ihrem Widerstand gegen die Realität gewinnt?
Natürlich gibt es Beispiele: Nora Abdel-Maksouds Stück „Jeeps“, eines der erfolgreichsten Stücke der Saison, gehört dazu. An Theatern in Wien, Hamburg, Konstanz, Paderborn, Nürnberg, Mannheim, Lübeck, Stuttgart, München, Halle, Darmstadt, Essen u. v. m. lief und läuft diese urkomische Farce über Gerechtigkeit im Sozialstaat, über Verteilungskämpfe, über Würde und die Wunden, die eine Klassengesellschaft auf der Seele hinterlässt. Ist es Zufall, dass diese Komödie „Klasse“ zum Thema macht? Oder treffen sich hier zwei Bedürfnisse, die auch wir in unserer Tagungsplanung hatten: Humor. Lachen. Komödie. Und: Klasse. Klassismus. Klassengesellschaft.
Warum bleibt die Klasse – und daran angelehnt: der Klassismus, als so benannte Form der „Diskriminierung aufgrund der Klassenherkunft oder der Klassenzugehörigkeit“ (Francis Seeck) – in allen Diversitäts- und Anitdiskriminierungsdebatten bisher der blinde Fleck? „Menschen aus der Arbeiter*innen- oder Armutsklasse werden im Kulturbetrieb an vielen Stellen ausgegrenzt und marginalisiert; Kultur, die der Arbeiter*innenklasse zugeschrieben wird, wird entweder abgewertet oder sich angeeignet“ (nochmal Seeck).
Was auffällt: Sehr häufig hat „Kultur, die der Arbeiter*innenklasse zugeschrieben wird“ mit Humor und Unterhaltung zu tun, mit dem, was die deutschsprachige Theatertradition verächtlich mit Vokabeln wie „flach, kommerziell, unterkomplex u. v. m.“ abwertet. Und hier schließt sich der Kreis. Es besteht ganz offenbar ein Zusammenhang zwischen dem Fehlen von Humor, von emanzipatorischer Komödie, von Lachen und „U-Kultur“ im Theaterbetrieb und seiner klassistischen Ausgrenzung bestimmter Menschen.
Dagegen spielen viele Humorformen außerhalb der Theater, wie z. B. Kabarett und Comedy, sehr bewusst mit Gesten, die dem „Prekariat“ zugeschrieben werden, sind vulgär, populär, obszön, „bildungsfern“, geschmacklos etc. und grenzen sich damit offensiv von der Hochkultur und dem elitären Kunstverständnis ab, das im Theaterbetrieb verteidigt wird. Sie sind dabei weder eindimensional noch unkritisch - obschon (häufig) Massenware und damit (Achtung!) „Kulturindustrie“ (Horkheimer/Adorno).
Auf der Jahrestagung im April 2024 in Wien - der Stadt des Wiener Schmäh, von Nestroy und Sargnagel - werden wir Humor und Klassenkampf zusammendenken:
Also, was gibts denn hier zu lachen? Und worüber?
Wer soll und darf über wen Witze reißen, wer bitte nicht?
Ist Lachen eigentlich eine Überlebensstrategie?
Wie reißen wir die Grenze zwischen U und E wirklich ein?
Wie öffnen wir die Diskurse auch für Menschen, die deren Regeln noch nicht kennen?
Was kann Theater von Stand-Up, von Kabarett lernen?
Was sind die Strategien emanzipatorischen Humors,
wie geht „woke comedy”?
Wie befreien wir uns von eigenen Ressentiments gegen das U?
Was daran kann politisch und emanzipativ sein?
Wie haben wir endlich mal wieder etwas zu lachen?
Um diese und ähnliche Fragen geht es vom 18. - 21. April 2024 in Wien.
Auch uns ist sehr oft überhaupt gar nicht zum Lachen zumute. Auch wir sind wütend und verzweifelt über die politischen Ereignisse, über die Kriege und Konflikte, über die unnötigen Opfer.
Aber wir möchten es mit Jason W. Moore halten und setzen auf das revolutionäre und ermächtigende Potential von Humor, Hoffnung und die heitere Verzweiflung. Und freuen uns auf Euch, in Wien!
Gastgebendes Haus ist 2024 das Theater am Werk! Das ist für uns ein ganz besonderer Ort und eine besondere Konstellation: Das Theater am Werk hat seit dieser Spielzeit eine neue Direktion, mit Esther Holland-Merten als Künstlerischer Leiterin. Esther Holland-Merten ist außerdem seit Juni 2023 die Vorsitzende der Dramaturgischen Gesellschaft und nun in Doppelfunktion unsere tatkräftige Gastgeberin. Ihr, dem gesamten Team und allen voran ihrer Leitenden Dramaturgin Hannah Egenolf gilt unser allerherzlichster Dank!
Großer Dank gilt auch unseren langjährigen Kooperationspartnern: dem Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage, dem Kleist Forum und dem Magazin „Die Deutsche Bühne“.
So viele Kooperationen mit anderen Netzwerken wie auf dieser Tagung gab es noch nie! Wir danken sehr dem dramaturgie-netzwerk, dem Netzwerk Regie, dem Netzwerk Kulturvermittlung in den darstellenden Künsten Österreich (NEKUDAK) und dem Vermittlungs*Netzwerk Deutschland. Auch den Wiener Wortstätten gebührt ein herzlicher Dank.
Wesentliche Beiträge zum Programm haben unsere AGs geleistet, daher ein großes Danke an die AG Musiktheater und natürlich die dg starter, die es jungen Theatermacher*innen ermöglichen, an der Tagung teilzunehmen.
Last but not least! Wir bedanken uns bei Wien Tourismus, speziell dem Vienna Meeting Fund, dem Bürgermeister der Stadt Wien Dr. Michael Ludwig, dem Botschafter Vito Cecere und der Kulturreferentin Gertrud Aichem-Degreif von der Deutschen Botschaft Wien, dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, dem Volkstheater und der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien.
Das von uns zusammengestellte Theaterprogramm für die Abende beinhaltet Vorstellungen der Freien Szene in Wien. Für die Konferenz wurden Kartenkontingente geblockt – bei den einzelnen Veranstaltungen ist vermerkt, wie Teilnehmende der Konferenz an vergünstigte Karten kommen.
Das Theater am Werk hat zwei Spielorte, im 1. und im 12. Wiener Gemeindebezirk, an denen auch die Tagung stattfindet: Am Donnerstag und Sonntag im Spielort am Petersplatz in der Inneren Stadt, am Freitag und Samstag im Kabelwerk in Meidling!
Wir freuen uns sehr darauf, Euch in Wien zu treffen!
Der Vorstand der DG:
Antigone Akgün, Kathrin Bieligk, Kerstin Grübmeyer (Stellv. Vorsitzende), Esther Holland-Merten (Vorsitzende), Jasmin Maghames, Michael von zur Mühlen, Beata Anna Schmutz
und Raffaela Phannavong (Leitung der Geschäftsstelle) und Jana Thiele (Geschäftsführerin)